Direkteinstieg:
Sektorenkopplung stellt ein vielversprechendes Prinzip dar, um die Energiesektoren Strom, Wärme und Mobilität intelligent miteinander zu verbinden, den Einsatz Erneuerbarer Energien zu erhöhen und die Energieversorgung damit möglichst vollständig zu dekarbonisieren. In dicht besiedelten Städten wie etwa Hamburg, Berlin oder Bremen spielt in diesem Kontext die Transformation der bisher überwiegend fossil betriebenen Wärmenetze mittels Sektorenkopplung eine zentrale Rolle. Sie bietet die Chance für eine klimafreundlichere, leitungsgebundene Wärmeversorgung in urbanen Räumen, die bessere Nutzung lokaler Potenziale für Erneuerbare Energien sowie Flexibilität für den Stromsektor.
Herr Dr. Dietrich betonte, dass sich die Hansestadt Hamburg eine Einsparung der CO2-Emissionen um 50 Prozent bis 2030 als Ziel gesetzt habe. Aktuell werde diskutiert, ob man dieses Ziel nicht auf 55 Prozent anheben solle. Gleichzeitig sei Hamburg eine schnell wachsende Stadt, sowohl hinsichtlich der Wirtschaftskraft, des Verkehrsaufkommens als auch der Einwohnerzahl. Das sorge für zusätzliche Herausforderungen beim Erreichen der Klimaschutzziele.
Allein die Prozesswärme in Hamburg mache rund 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs in Hamburg aus, weshalb der Industrie und dem Gewerbe eine Schlüsselrolle zukomme. Die Einbeziehung dieser Branchen in die Klimaschutzbemühungen sei sehr wichtig und werde beispielsweise über Förderprogramme und Umweltpartnerschaften (z. B. EFRE-Förderprogramm „Energiewende in Unternehmen“) realisiert.
Es gibt eine Vielzahl an Projekten, um die Sektorenkopplung voranzubringen, beispielsweise die größte flexible Power-to-Heat-Anlage „Karoline“. Aber auch die Abwärmenutzung für die Fernwärme wird in Hamburg aktiv befördert. Neben Kooperationen von Unternehmen und Wärmenetzbetreibern sei hier auch eine rechtliche Weiterentwicklung nötig, um die Abwärmenutzung voranzubringen, so Dr. Dietrich.
Auch die Stadtentwicklung muss mit Blick auf Klimaschutzaspekte neu gedacht und der Fokus von der Betrachtung von Einzelgebäuden hin zu hybriden Einheiten und Quartiersansätzen verschoben werden. Dafür müsse auch die kommunale Wärmeplanung als entscheidendes Instrument für die Erschließung der Erneuerbaren-Energien-Potenziale in der Fläche verankert werden. Alle Akteure sollten „synergetisch zu denken“ und auf integrierte, sektorenübergreifende Konzepte für den Klimaschutz setzen.
Einführungsvortrag: „Energiesystem Stadt: Sektorenkopplung in urbanen Wärmenetzen“, Dr. Dietrich Schmidt, Fraunhofer IEE
(zugehörige Präsentation)
Einleitend hob Herr Dr. Schmidt die zentrale Bedeutung des Wärmesektors zum Erreichen der Klimaschutzziele hervor: 47 Prozent der Energie-bedingten CO2-Emissionen gehen auf den Bedarf für Wärme zurück. Gebäude seien die Hauptverbraucher von Wärme, weshalb der energetischen Sanierung des Bestands eine Schlüsselrolle zukomme. Neue Gebäude sollten idealerweise als „kleine Kraftwerke“ errichtet werden, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen. Auch Quartiersansätze mit innovativen Niedertemperatur-Wärmenetzen seien ein wichtiger Ansatz, um das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands zu erreichen. Vielerorts stehe die Fernwärme auf dem Prüfstand, weil die Wirtschaftlichkeit mit energetisch ertüchtigten Gebäuden und damit verbundenen geringeren Wärmebedarfen abnehme. Neue Geschäftsmodelle müssen erschlossen werden, um bestehende Kunden zu binden und neue zu akquirieren.
Der Ausbau der Fernwärme ist für die Energiewende-Ziele notwendig. Laut einer Studie des Fraunhofer IEE müsste der Anteil der Wärmenetze an der Deckung der Endenergie von Gebäudewärme im Jahr 2050 bei 37 Prozent liegen (aktuell 11 Prozent). Der Rest des Gebäudewärmebedarfs werde 2050 hauptsächlich über Wärmepumpen in Einzelgebäuden gedeckt. In Wärmenetzen werden Großwärmepumpen eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Um das Wärmenetzpotenzial zu erschließen, sei ein möglichst weiter Ausbau der Wärmnetze bereits bis 2030 notwendig. Dafür bedürfe es rund 85.000 km neue Leitungen und 5,7 Millionen Hausanschlüsse. Kurzfristig müsste das Ausbautempo um den Faktor 6 bis 7 erhöht werden, so die Studie. Zentral sei dabei auch der frühzeitige Abbau von Hemmnissen für den Einsatz von Großwärmepumpen, insbesondere der hohen Strompreise, die mit den geringen Preisen fossiler Energieträger nicht konkurrenzfähig sind.
Fazit:
Die Anstrengungen für den Ausbau von Wärmenetzen müssen deutlich erhöht sowie die Netztemperaturen für die Steigerung der Effizienz und Integration von Erneuerbaren Energien abgesenkt werden. Entscheidend ist ein verlässlicher regulativer Rahmen für eine zielgerichtete Preisentwicklung für CO2 und Strom, damit EE-Wärme wirtschaftlich darstellbar ist.
1) Projekt Berliner Möckernkiez – Wie ökologische Energieversorgung im urbanen Raum gelingt, Maximilian Seget, Naturstrom AG
(zugehörige Präsentation)
Herr Seget stellte das Energieversorgungskonzept des Möckernkiez in Berlin vor. Dieser umfasst 16 Gebäude nach KfW-Effizienzhaus 40 Standard mit 471 Wohnungen und 20 Gewerbeeinheiten. Der Wärmebedarf liegt bei 2.000 MWh pro Jahr und der Strombedarf bei 1.500 MWh pro Jahr. Die Energieerzeugung erfolgt vor allem über ein 100 Prozent Biomethan Blockheizkraftwerk (BHKW) und einem Gas-Spitzenlastkessel. Die Wärmeversorgung der Gebäude erfolgt über ein Nahwärmenetz. Den BewohnerInnen wird Mieterstrom aus dem BHKW und den 5 installierten PV-Anlagen angeboten. Zusätzlich können die BewohnerInnen an zwei Elektroladesäulen Quartiersstrom tanken. Insofern wurden Wärme- und Stromsektor miteinander verzahnt. Der Primärenergiefaktor des Projektes liegt bei 0,0 und der Anteil Erneuerbarer Energien an der Gesamtwärmeerzeugung bei 67 Prozent.
Im Berliner Möckernkiez können jährlich insgesamt 735.000 kg CO2 (Strom und Wärme) eingespart werden. Dabei erfolgt die CO2-Einsparung größtenteils im Stromsektor (Vergleichswert deutscher Strommix), weshalb die Quartiersversorgung neben der Wärme- auch immer die Stromversorgung mitbetrachten sollte. Strom sollte Herrn Seget zufolge das Leitmedium in Sektorenkopplungs-Konzepten sein, ist aber durch den hohen Strompreis ökonomisch nachteilig. Bei der Umsetzung von Projekten der Sektorenkopplung gebe es vor allem rechtliche und finanzielle Hemmnisse. So wurde beispielsweise die zunächst angedachte Abwärmenutzung für die Wärme wegen der Nutzungsentgelte für Abwasser wieder verworfen. Technisch müssten vor allem die Systemtemperaturen gesenkt werden, um die Integration von Erneuerbaren Energien zu vereinfachen.
2) Industriewärme für die klimafreundliche Wärmeversorgung von Haushalten in der östlichen HafenCity – Christian Hein, Aurubis AG
(zugehörige Präsentation)
Herr Hein präsentierte das „Industriewärme“-Projekt, das von Aurubis gemeinsam mit enercity umgesetzt wurde. Aurubis koppelt dabei aus einem chemischen Nebenprozess der Kupferproduktion CO2-freie Wärme mit ca. 90 Grad Celsius aus und liefert diese gemeinsam mit enercity über eine rund 3,7 km lange Trassenverbindung in die HafenCity Ost. Dort können aktuelle 8.000 Vier-Personen-Haushalte mit der Wärmemenge von 160 Mio. kWh rund ein Jahr versorgt werden.
Das Projekt spart jährlich rund 20.000 Tonnen CO2 ein. Insgesamt reicht das vorhandene Potenzial sogar für ca. 25.000 Haushalte und könnte etwa 140.000 Tonnen CO2 einsparen. Die Leitung ist für den Transport zusätzlicher Industriewärme bereits für eine Kapazität von bis zu 60 MW ausgelegt. Neben der CO2-Einsparung wird durch die Wärmenutzung auch weniger Kühlwasser in der Produktion benötigt.
Zu den zentralen Herausforderungen bei der Umsetzung des Projektes zählten die lange Vorlaufzeit für Planung und Genehmigungsprozesse, Umbau der wesentlichen Anlagenkomponenten sowie das Erzielen einer für die Wirtschaftlichkeit maßgeblichen Förderquote von mind. 30 Prozent auf sämtliche Investitionen. Hohe Anfangsinvestitionen stehen einer sukzessiven Bebauung und damit Wärmeabsatz und –erlösen in der östlichen HafenCity gegenüber.
Rahmenbedingungen für Wärmenetze
Die Wärmeversorgung muss dezentral betrachtet werden, da es keine „One-Size-fits-all“-Lösung für eine klimagerechte Wärmeversorgung gibt. Allein in Hamburg sind individuelle Konzepte für unterschiedliche Quartiere notwendig. Auf der anderen Seite braucht es seitens des Bundes Rahmenbedingungen und Weichenstellungen pro Erneuerbare Energien wie beispielsweise einen CO2-Preis. Dieser sollte idealerweise so wie in Dänemark dazu führen, dass Erneuerbare Wärme ganz ohne Förderung einfach die günstigste Option wird.
Der aktuelle Ansatz für die Förderung von Großwärmepumpen ist wenig gewinnbringend, da diese bei 50.000 Euro gedeckelt ist. Die Investitionen liegen oft aber bei rund 10 Millionen Euro. Fernwärme ist aktuell überproportional im Geschosswohnungsbau und damit tendenziell bei sozial schwächeren Haushalten vertreten, weshalb auch die soziale Frage nicht außer Acht gelassen werden darf und die Fernwärme auch künftig bezahlbar bleiben muss.
Technische Optionen
Die technischen Möglichkeiten für eine Dekarbonisierung der Wärmenetze mittels Sektorenkopplung sind größtenteils vorhanden, aber gerade das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten bei Strom und Wärme muss für den integrativen Betrieb noch weiter verbessert werden. Kalte Wärmenetze können künftig Kühlung als zusätzlichen Nutzen mit sich bringen und so auch ökonomisch attraktiver werden. Der Ausbau von Wärmenetzen sollte idealerweise auf dem technischen Stand der 4. Generation erfolgen. Nur bei Nachverdichtungen können bestehende Strukturen noch in der 3. Generation ausgebaut werden – aber auch hier sollten verstärkt Subnetzstrukturen geschaffen werden.
Die Tiefengeothermie ist mit sehr hohen Anfangsinvestitionen verbunden, was bisher der größte Hinderungsgrund beim Ausbau ist. Oberflächennahe-Geothermie mit Wärmepumpen ist günstiger. Der verstärkte Einsatz von (Groß-)Wärmepumpen und Power-to-Heat für die Dekarbonisierung der Wärmenetze bedarf mehr Strom. Daher braucht es auch einen deutlich schnelleren Ausbau von Erneuerbaren Energien im Stromsektor, damit die Sektorenkopplung einen Beitrag zum Klimaschutz leistet.
BAFA – „Förderprogramm Wärmenetze 4.0“ (Timo Daniel und Christian Kremer)
Mit der Förderung werden nicht nur Einzeltechnologien und -komponenten, sondern Gesamtsysteme gefördert. Die zu fördernden Wärmenetze zeichnen sich durch hohe Anteile Erneuerbarer Energien, effiziente Nutzung von Abwärme und niedriges Temperaturniveaus aus. Die Höhe der Förderung beträgt bis zu 50 Prozent der förderfähigen Vorhabenkosten (bis zu 15 Millionen Euro) für die Realisierung eines Wärmenetzsystems 4.0. In einem ersten Schritt wird eine Machbarkeitsstudie benötigt, die mit bis zu 60 Prozent gefördert wird. Aktuell werden 117 Machbarkeitsstudien und zehn Umsetzungen gefördert. Auch die Transformation bestehender Infrastrukturen ist förderfähig, wenn Anforderungen der Wärmenetze 4.0 eingehalten werden.
Geo-En plant und setzt „Kalte Netze“ als Umweltenergieplattformen für unterschiedliche Einspeiser (Solar, Erdwärme, Abwärme) und Nutzer um – sowohl für Wärme als auch Kälte. Dezentrale Sensoren an allen Heizungen erlauben die optimierte Systemsteuerung. Oberflächennahe Geothermie kann bei ca. 10 Grad Celsius als leistungsfähiger saisonaler (Niedertemperatur-)Wärmespeicher dienen. Strom, Wärme und Erdreich (Wassertemperatur) bilden so Synergien. Bei der thermischen Nutzung des Grundwassers gibt es eine Reihe von Synergieoptionen wie z. B. die Grundwasserreinigung. Jedes Haus könnte mit Wärmepumpe für Heiz- und Warmwasser ausgestattet werden, die dann das kalte Netz als Wärmequelle nutzt und Temperaturen hebt.
IWN erstellt individuelle Konzepte für bestehende und neue Wärmenetze. Aufgrund der langen Lebensdauer von 40 Jahren müssen schon heute innovative Lösungen für Wärmenetze umgesetzt werden. Als zertifizierter Gutachter für Wärmenetze hilft IWN Unternehmen, kommunalen Betrieben, Vereinen und Genossenschaften, usw. auch beim Antrag auf Fördermittel gemäß dem Förderprogramm „Wärmenetzsysteme 4.0“.
GP Joule – Projekt Bosbüll – 100 Prozent erneuerbare Wärme durch Sektorenkopplung (Sören Haase)
In Schleswig-Holstein wird derzeit viel Stromleistung an Erneuerbare Energien abgeregelt. In der Gemeinde Bosbüll wurde zuerst eine Machbarkeitsstudie nach dem Programm Wärmenetze 4.0 erarbeitet unter Einbezug eines saisonalen bzw. Langzeitspeichers mit der Zielsetzung, insbesondere überschüssigen Windstrom sinnvoll für die Wärmeversorgung nutzbar zu machen. Nun läuft die Umsetzung des Projektes, bei dem mithilfe einer strombetriebenen Wärmepumpe und eines elektrischen Heizstabes (Power-to-Heat) Strom zu Wärme wird und diese über ein Wärmenetz zu den AbnehmerInnen transportiert wird.
Der Energiebunker – ein gemeinsames Projekt von Hamburg Energie und Averdung Ingenieure – liefert Ökostrom und Wärme für das gesamte Reiherstiegviertel in Hamburg Wilhelmsburg. Seit 2015 ist der Energiebunker an das Hamburger Strom- und Nahwärmenetz angeschlossen. Auf dem Dach und an der Südseite sind über 2.000 m² Solarkollektoren und -zellen angebracht. Die Solarthermieanlage auf dem Dach erzeugt Wärme und die PV-Anlage an der Südseite den Strom. Aus einem benachbarten Industriegebiet wird Abwärme in den Energiebunker geleitet, dort gespeichert und als Wärme an die VerbraucherInnen weitergegeben. Ein Biogas-Blockheizkraftwerk (BHKW) im Inneren des Energiebunkers erzeugt Strom und Wärme. Ein Spitzenlastenkessel sichert die Wärmeversorgung zu Stoßzeiten. Die Gesamtleistung Wärme deckt ca. 3.000 Haushalte ab und ist noch ausbaufähig. Rund 1.000 Haushalte können zusätzlich mit Erneuerbarem Strom versorgt werden.
Hamburg Energie – Wärmewende konkret – das integrierte Verbundnetz Wilhelmsburg (Joel Schrage)
In Hamburg Wilhelmsburg, wo es bereits einen Energieverbund und das Wärmenetz des Energiebunkers gibt, soll ein Wärmenetz der vierten Generation entstehen. Ziel ist eine Wärmeinfrastruktur, die Bestands- sowie Neubauten mit Wärme aus Erneuerbaren Energien versorgt. Das Netz soll die Wärme flexibel und effizient bereitstellen. Die Umsetzung wird gefördert durch das „Wärmenetze 4.0“-Programm und basiert auf den Erkenntnissen des Forschungsprojekts „Smart Heat Grid Hamburg“. Erzeuger und Abnehmer sollen innerhalb eines Netzes intelligent miteinander verbunden werden. Ein Tiefengeothermie-Projekt mit einem Potenzial von 10-15 MW Leistung befindet sich gerade in der Entwicklung. Dieses soll mit einem saisonalen Speicher ergänzt werden, auch um die sommerlichen Wärmeüberschüsse der Geothermie zu speichern. Industrielle Abwärme soll ebenfalls ein Baustein sein. Das Verbundnetz wird mit einer digitalen Steuerung verknüpft, um eine intelligente Anlagenkoordination zu ermöglichen.