Berlin ist eine Mieterstadt. Rund 86 Prozent der knapp zwei Millionen Wohnungen im Stadtgebiet werden vermietet. Mit über 70.000 Wohnungen und mehr als 120.000 Mieter*innen ist die Gewobag AG eines von sechs Berliner landeseigenen Wohnungsbauunternehmen. Zum Vergleich: In Berlin leben mehr Menschen in Wohnungen der Gewobag als in Göttingen oder Kaiserslautern.
Karsten Mitzinger (Foto: Maren Schulz)
Die Wohnungsbaugesellschaft ist sich ihrer Verantwortung bewusst, Wohnen in der Zukunft bezahlbar aber auch nachhaltig zu gestalten. Ihr Tochterunternehmen, die Gewobag ED Energie- und Dienstleistungsgesellschaft mbH ist der Energiedienstleister der Gewobag AG. Seit ihrer Gründung 2013 setzt sich diese für Umwelt- und Klimaschutz ein. Wir haben mit Karsten Mitzinger, der seit 2016 Geschäftsführer der Gewobag ED ist, über die Energiewende, Betriebskosten und die Rolle der Sektorenkopplung bei der Planung neuer Projekte gesprochen.
Guten Tag Herr Mitzinger. Zunächst würde ich gerne allgemein etwas über die Rolle des Klimaschutzes in der Gewobag erfahren. Warum entwickelt man als lokales Wohnungsbauunternehmen einen Plan zum Klimaschutz?
Wir haben ja eine Verpflichtung als landeseigenes Wohnungsbauunternehmen. Der Bund hat zum einen Klimaschutzziele und das Land Berlin, welches unser Gesellschafter ist, ebenso. Das unterstützen wir natürlich.
Auch im Bereich Klimaschutz wollen wir natürlich auch für unsere Mieter*innen ein attraktives Wohnengefühl schaffen. Das bedeutet nicht nur gute Mieten und gute Wohngebiete, sondern auch klimafreundliches Wohnen. Das ist unter anderem bei uns auch eins von sechs strategischen Zielen. Hier sagen wir deutlich: Klimaschutz haben wir uns auf die Fahnen geschrieben.
Welche Vorteile erhofft sich die Gewobag durch den Klimaschutz und angewandte Sektorenkopplung für Mieter*innen, für den Wohnungsbestand und für das Unternehmen?
Ich glaube nicht unbedingt, dass wir uns nur Vorteile erhoffen. Ich denke, es wird nicht mehr anders gehen. Bei der Quartierentwicklung des Bestands und des Neubaus wird die Komplexität bei der Einbindung und Berücksichtigung von Sektorenkopplung deutlich. Hier müssen viele Sektoren berücksichtigt werden, deswegen kann man sich nicht nur auf beispielsweise Wärme beziehen. Über unsere Kernaufgabe hinaus – also Wärmeversorgung für Mieter*innen -, müssen wir die Komplexität und die Synergien in den einzelnen Bereichen berücksichtigen und in Sektorenkopplung denken. Das sind z.B. die Bereiche Wärme, Strom und Mobilität, da die Mieter*innen auch mobil sein müssen, um beispielsweise zu ihren Arbeitsstätten kommen zu können. Deshalb kann man solche Investitionen nicht einseitig betrachten. Jede Quartierentwicklung muss deswegen auch unter dem Aspekt der Sektorenkopplung betrachtet werden.
Wie hat sich die Planung von Projekten in den vergangenen 20 Jahren verändert und welche Rolle hat dabei die Sektorenkopplung gespielt?
Vor 20 Jahren hat man wirklich bloß in einer Versorgungsdimension gedacht. Dies geschah lediglich eindimensional durch den Aufbau von Wärmenetzen. Heute muss man über den Tellerrand schauen und die Komplexität vernetzter Sektoren beachten. Jetzt gibt es auch eine Gesetzgebung, die sich ständig verändert, und die in der Planung berücksichtigt werden muss. Was wir über den Klimaschutz und die Fokussierung auf die Dekarbonisierung und das Thema Strom wissen, wird bereits bei unserer Planung berücksichtigt. Ich kann nur wieder betonen, die Verbindung von Mobilität, Wärme und Stromversorgung, das sind die derzeit wichtigen Themen zum Erreichen der Klimaschutzziele.
Praktisch messbar sind hauptsächlich Einsparungen beim Ausstoß von CO2-Emissionen beziehungsweise der Output neuinstallierter Technologien. Welche weiteren Indikatoren sind wichtig, um die Effekte von Sektorenkopplung in Berlin messbar zu machen?
Für die Gewobag und speziell für unsere Mieter*innen sind natürlich zuerst stabile, bezahlbare Betriebskosten das wichtigste Thema. Zudem sollen wir innovative Techniken einsetzen und wollen das natürlich auch, aber Innovation muss auch finanziert werden. Da muss man sehen, dass man diesen schmalen Grat, auf dem man sich bewegt, immer im Auge behält. Es gilt daher immer ökonomisch zu bleiben unter ökologischen Gesichtspunkten. Das ist die Herkulesaufgabe, die wir haben.
Außerdem haben Sie ja schon angesprochen, dass CO2 immer stärker in den Fokus treten wird. Das bekommen wir jetzt schon über die Gesetzgebung mit. Über die CO2-Abgabe wird das auch unsere Mieter*innen treffen. Deshalb haben wir hier eine sehr starke Verantwortung in unseren Quartieren das CO2-arme Wohnen bzw. das CO2-arme Quartier zu gestalten. Das gilt nicht nur im Neubau, sondern auch im Bestand, was viel anspruchsvoller und herausfordernder wird.
Jetzt wird es ein wenig praktischer. Wie versuchen Sie, diesen Ausgleich zwischen Wirtschaftlichkeit und ökologischer Verantwortung konkret zu erreichen?
Ganz wichtig ist zunächst, dass man eine Strategie hat. Man darf nicht an einzelnen Projekten arbeiten, sondern man muss strategisch vorgehen und bei der Bewertung von Projekten sehr intensiv in die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung gehen. Das heißt, man muss alle Möglichkeiten mitdenken, wie man Projekte gestalten könnte. Das bedeutet, man hat mehr Aufwand, man braucht noch besseres und geschulteres Personal mit hohem fachlichem Know-How, sodass wirklich alle technischen Möglichkeiten im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebotes für Projektplanungen ausgeschöpft werden. Wichtig ist, dass wir nicht immer neue Technologien erfinden müssen. Der Knackpunkt ist eigentlich das Zusammenspiel von verschiedenen, bereits existierenden Technologien.
Welche Rolle spielen externe Partner*innen bei der Umsetzung von Projekten?
In diesen komplexen Fachthemen, welche spezifische Kenntnisse erfordern, ist es nicht möglich, alles inhouse abzudecken und sich in allen Sektoren das Wissen und die Kapazitäten auf dem Markt zu beschaffen. Deshalb ist es notwendig, auf externe Partner*innen zurückzugreifen. Es ist nicht einfach, diese zu finden. Das erfordert ein gutes Netzwerk und man muss vor allem die verschiedenen Unternehmensziele, die die Partner*innen haben, zueinander bringen. Nur wenn das geschafft wird, kann man auch diese komplexen Themen effektiv bearbeiten und umsetzen. Wir haben an vielen Beispielen gezeigt, dass das geht.
Ein innovatives Energie- und Versorgungskonzept, das sogar mit dem BBU-ZukunftAward 2020 ausgezeichnet wurde, ist die Installation eines Stahlspeichers in Kooperation mit Vattenfall und Lumenion in Berlin-Tegel. Was können Sie zum aktuellen Stand des Projektes sagen?
Der Stahlspeicher ist jetzt an das Netz angeschlossen und wir befinden uns im Moment am Ende der Erprobungsphase. Dort wurden alle Funktionalitäten inklusive Steuerungsautomatisierungs- und Schutztechnik geprüft.
Warum hat sich die Gewobag für die Installation des Stahlspeichers entschieden?
Das Quartier in Tegel am Bottroper Weg hat eine gewisse Historie für uns. Wir haben dort schon 2014 ein recht innovatives Energiekonzept entwickelt und haben das 2015 mit der Inbetriebnahme des damals größten Blockheizkraftwerkes Berlins umgesetzt. Mit dem Konzept, was wir damals entwickelt haben, wollten wir uns nicht zufriedengeben. Wir haben überlegt, was man in dem Gebiet noch weiter machen könnte. So wurde die Idee von Vattenfall und Lumenion an uns herangetragen. Wir haben uns das Projekt angeschaut, es diskutiert und es schlussendlich unterstützt. Es gibt natürlich noch andere Speicher aber ich denke, Stahl ist ein Produkt, was auch bei uns in heimischen Gefilden produziert werden kann, also nachhaltig ist. Außerdem werden keine Ressourcen wie Silizium oder Ähnliches benötigt. Der Stahlspeicher hat auch den Vorteil, dass er wenig bewegte Teile hat. Das waren alles Argumente für uns, auf dieses Medium zu setzten. Es gibt sicherlich noch weitere Speichermedien aber für uns haben wir gesagt, dass es ein relativ geringes Risiko ist.
Sind noch weitere Projekte dieser Art geplant?
Unsere bisherigen Bemühungen sind im Industriebereich anzusiedeln. So ein Projekt in der Wohnungswirtschaft umzusetzen, ist etwas Besonderes, weil wir andere Gegebenheiten haben als bei einer Industrieanlage, deshalb wird man dieses Konzept nicht großflächig ausrollen können. Andere Wohnungsbauunternehmen werden das auch nicht eins zu eins übernehmen können. Aber dort, wo es möglich ist, und beim Bottroper Weg war es möglich, werden wir immer ein Auge auf Technologien haben, die wir verwenden können. Bei diesem Projekt hat alles gepasst und wir haben die Chance genutzt, es umzusetzen. Das kann man jetzt nicht einfach übertragen, das wird nicht funktionieren.
Zuletzt noch eine Frage zum Wohnpark Mariendorf: Dort wurde auf Quartiersebene die Energieversorgung von Ladesäulen vom öffentlichen Stromnetz entkoppelt. Diese werden jetzt dezentral mit Strom versorgt. Können Sie uns das Projekt kurz vorstellen?
Gerne. Weltweit und in Deutschland haben wir schon viele Technologien – es kommt immer mal wieder etwas Neues auf die Agenda, momentan speziell im Bereich Wasserstoff – aber eigentlich verfügen wir schon über viele mögliche Technologien. Wichtig ist, dass man diese Technologien zusammenbringt und sich nicht nur auf eine bestimmte Technologie ausrichtet, sondern in ihrer Komplexität betrachtet. Dann kommt man dahin, dass man in verschiedenen Projekten unterschiedliche Technologien zum Einsatz bringt. Auf anderen Gebieten und unter anderen Rahmenbedingungen können wieder andere Technologien sinnvoller sein. Manchmal ist sogar die Einbindung einer Vielzahl unterschiedlicher Technologien sinnvoll. Genau das war das Ziel im Wohnpark Mariendorf. Hier wollten wir zeigen, dass es möglich ist, dass unterschiedliche Erzeugungsstrukturen und Speichertechnologien sinnvoll zusammenzuarbeiten. Deshalb ist dort das System sehr komplex. Im Wohnpark nutzen wir Brennwertkessel, Blockheizkraftwerke (BHKW), Energiespeicher, Fassaden-Photovoltaik und eine Power-to-heat-Anlage. Zudem haben wir auch Ladesäulen. Dort wurde getestet, wie man die Ladesäulen direkt aus dem BHKW versorgen kann. Es werden aktuell sieben Ladesäulen durch das BHKW versorgt.
Wenn die Möglichkeiten bestehen, wird versucht, alles auszuschöpfen, was geht. Genau das haben wir im Wohnpark umgesetzt. Auch dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit externen Partner*innen umgesetzt, wobei das Konzept intern entwickelt wurde und die GASAG Solution plus für die Durchführung verantwortlich war.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Markus Schreiber, Agentur für Erneuerbare Energien.